Wut hat ein Imageproblem. Da viele Menschen ihre Wut in Form von verletzendem oder zerstörerischen Verhalten ausagieren, verbinden wir kollektiv gesehen mit den Wörtern „Wut“ und „Aggression“ nichts Gutes. Das ist schade, denn Wut ist eigentlich wunderbar. Wenn wir lernen, sie positiv zu nutzen, hat sie großes Potential, unser Leben leidenschaftlicher und lebendiger zu machen.
Wut ist mehr als nur ein Gefühl. Sie ist auch ist auch eine uns innenwohnende Kraft, die uns schützt und zu Veränderungen anregt, indem sie uns zeigt: „hier stimmt etwas nicht für mich“. Vielen wichtigen gesellschaftlichen Wandlungsprozessen wie sie zum Beispiel der Frauenbewegung gingen und gehen Wut und ihre Spielarten Frustration Ärger und Empörung voraus. Der Kontakt mit unserer Wut holt uns aus dem „Opfermodus“ heraus und macht uns handlungsfähig. Unterdrückte Wut hingegen lässt uns in Lähmung, Unentschlossenheit und Verwirrung festhängen.
Wut betrifft alle Geschlechter. Unser Verhältnis zu Wut ist zu einem großen Teil in unserer individuellen Geschichte begründet. Doch für Frauen war Wut jahrhundertelang ein verbotenes Gefühl. In den ehemals stark patriarchalen Strukturen, in denen unsere Gesellschaft wurzelt, hatte das weibliche Geschlecht gehorsam und friedfertig zu sein. Wütende, wilde und widerspenstige Frauen hätten die bestehende Ordnung bedroht.
Dieses kulturelle Erbe und auch moderne, subtilere Unterdrückungsmechanismen prägen uns noch heute und machen viele Frauen zu angepassten, braven Mädchen, die lieber nicht anecken wollen, als für sich einzutreten. Viele Frauen sind regelrecht süchtig danach, es allen Recht machen zu wollen und verletzen dabei oft die eigenen Grenzen. Wenn wir wirklich genau hinschauen, ist dieses Verhalten letztendlich- ebenso wie das Herumkritisieren am eigenen Körper oder übertrieben perfektionistische Ansprüchen an sich selbst- eine Form von Autoaggression. Sie ist in dem weg-konditionierten Zugang zu nach außen gerichteter, aggressiver Lebenskraft begründet, die sich deshalb nach innen wendet, um einen Ausdruck zu finden.
Wie aber können wir Frauen in Kontakt mit unserer Wut und Aggression kommen, die uns kulturell so lange Zeit aberzogen wurde? Sicherlich gibt es viele Wege. Der effektivste, den ich kennengelernt habe, führt über neuartige körperliche Erfahrungen und wirkt tiefer als gesellschaftliche Prägungen. Dabei geht es in erster Linie nicht um heftiges Ausagieren durch Schreianfälle. Sanftere Zugänge wie durch kräftige Berührungen oder bewusste, zielgerichtete Bewegungen sind für unser Nervensystem oftmals viel geeigneter, um Wut zu integrieren und im Alltag als Lebenskraft nutzbar zu machen, die unsere Grenzen schützt und uns leidenschaftlicher leben lässt.
In meiner Arbeit stelle ich immer wieder fest, wieviel Lachen in den Raum kommt, wenn Frauen in einem geschützten Raum die Masken fallen lassen und ihre Wut als körperliche Energie spüren können. Wieviel Lebendigkeit und Kraft ist doch in unserer Wut gespeichert! Wieviel Potential zu Veränderung hält sie für uns bereit!
Weibliche Wut ist richtig und wichtig in dieser Zeit, in der Frauen immer noch kollektiv von Benachteiligungen betroffen sind und es lohnt sich, diese Wut zu lieben und zu erkunden und ihr zu folgen.