Erlebst du immer wieder Situationen, in denen du einfach nicht für dich einstehen kannst? Ärgerst du dich im Nachhinein, dass du oft stumm bleibst, auch wenn du übergangen wirst, zu wenig Raum bekommst, dir eine Ungerechtigkeit widerfährt oder jemand deine Grenzen überschreitet?
Fragst du dich, warum es dir so schwer fällt, dieses Muster zu ändern und du automatisch immer wieder im „Braves-Mädchen-Modus“ landest?
Es kann sein, dass ein tiefer liegender Grund hierfür der fehlende Zugang zu deiner Wut ist. Und an dieser Stelle möchte ich schonmal sagen: Willkommen im Club! Es gibt unzählige Artikel, Bücher und Podcasts dazu, warum es speziell Frauen oft so schwer fällt, Wut zu fühlen und als Kraftquelle im Alltag zu nutzen. Ich möchte in diesem Artikel auf drei mögliche Gründe dafür eingehen (ohne den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben) und dir zum Abschluss ein paar Tipps geben, wie du mit Wut als einer dich nährenden und im Alltag unterstützenden Kraft in Kontakt kommen kannst.
3 Gründe, warum viele Frauen Wut unterdrücken
Zum einen ist Wut gesellschaftlich verpönt und wird im Allgemeinen nicht als neutrales oder sogar wichtiges Gefühl anerkannt, sondern direkt mit Aggression, Zerstörung oder „sich nicht unter Kontrolle haben“ verknüpft. Wie sollen wir uns erlauben, Wut zu fühlen und ihr Ausdruck zu verleihen, wenn wir sie direkt mit etwas Negativem verbinden?
Zum anderen haben viele Menschen als Kinder oft versucht, sich durch lieb und angepasst sein die Liebe ihrer Eltern zu erkämpfen. Für den Gefühlsausdruck Wut“ war im ohnehin stressigen Familienalltag kein Platz und vielleicht wurde er mehr oder weniger subtil bestraft. Dies trifft tatsächlich in besonderem Maße auf Mädchen zu, von denen immer noch mehr erwartet wird, brav zu sein, als von Jungen. Viele Eltern waren oder sind mit der Wut ihres Kindes überfordert und wissen nicht, damit umzugehen. Unsere kollektive Unfähigkeit, einen gesunden Umgang mit der kraftvollen Emotion Wut zu leben, spiegelt sich vielfach schon auf familiärer Ebene wider.
Und drittens konnte und kann es für Frauen oft regelrecht gefährlich oder zumindest sehr unangenehm werden, eigene Wut zum Ausdruck zu bringen und „ungehorsam“ zu sein, anstatt sich gesellschaftlichen Regeln und männlichen Vorstellungen anzupassen und „mitzumachen“. Denn das Überleben von Frauen war historisch betrachtet oftmals männlicher Gunst abhängig. Diese Erfahrung hat sich tief eingeprägt und ist auch heute in abgemilderter Form ein Teil der weiblichen Erlebniswelt. Sie kann ein weiterer Faktor sein, warum wir oft lächeln und nett sind, obwohl uns eigentlich gar nicht danach ist und wir unserem Gegenüber lieber deutlich und klar sagen würden „Lass mich in Ruhe!“. Viele Beispiele dafür sind übrigens nachzulesen in Franziska Schutzbachs Buch „Die Erschöpfung der Frauen. Wider die weibliche Verfügbarkeit“ (2021).
Was ist Wut und wozu dient sie dir?
Doch was ist eigentlich Wut? Wut ist ein Gefühl, das dir zeigt, wenn etwas nicht in Ordnung für dich ist und möchte auf Instinktebene betrachtet dein Überleben durch Kampf sichern. Wut mobilisiert eine „Angriffsenergie“, die Menschen bereitmachen kann, zu kämpfen. Für unsere evolutionären Vorfahren war dies überlebensnotwendig. In unserer heutigen Gesellschaft brauchen wir die Kraft von Wut als Überlebensenergie höchst selten – vielleicht haben wir aber trotzdem deswegen Angst vor Wut, weil wir (unbewusst) um ihre potentielle Zerstörungskraft wissen.
Heutzutage wird Wut wird jedoch im menschlichen Zusammenleben erst dann zerstörerisch und aggressiv, wenn sie viel zu lange keinen Raum bekommen hat. Fallen dir hierfür vielleicht Beispiele aus deinem Leben ein? Kennst du beispielsweise die Situation, dass du (oder jemand anders) erst „ausrastet“, wenn schon längere Zeit vorher Bedürfnisse oder Widerstände nicht ehrlich ausgesprochen wurden oder kein Gehör bekamen? Diese Betrachtungsweise könnte man auch auf die soziopolitische Ebene übertragen, doch das ist ein anderes und sehr komplexes Thema.
Wut in unserem „normalen Alltag“, den ich hier betrachten möchte, ist ein Gefühl, das dir hilft, für dich einzustehen und dich für Dinge einzusetzen, die dir wichtig sind. Wut sorgt dafür, dass du gerecht behandelt wirst und stellt zu einem gewissen Grad sicher, dass deine Grenzen eingehalten und deine Bedürfnisse erfüllt werden. Das alltägliche Pendant zu von Wut mobilisierter „Angriffsenergie“ auf instinktiver Ebene ist „Handlungsenergie“, die dir hilft, in die Umsetzung zu kommen und verknüpft ist mit Klarheit über deine Ziele. Das heißt im Gegenzug auch, dass Antriebslosigkeit, die Unfähigkeit „dranzubleiben“ oder mangelnde Entscheidungsfähigkeit auch ein Symptom von unterdrückter Wut sein können.
Es ist wichtig, zu verstehen, dass Wut nichts Böses ist, sondern eine Kraft, die dich beschützt und die dir hilft, DEIN Leben zu leben, authentisch du selbst zu sein und für dich einzutreten.
Wenn du es dir zur Gewohnheit machst, dich immer wieder hinten anzustellen, wirst du leider irgendwann nicht mehr spüren, was du willst und Dinge zulassen, die deinen Selbstwert und damit auch viele wunderbare Möglichkeiten in deinem Leben untergraben. Einige Stimmen sprechen sogar davon, dass unterdrückte Wut langfristig zu physischen oder psychischen Krankheiten führen kann. Mir erscheint das sehr nachvollzubar. Auch mir hat der Zugang zu meiner Wut geholfen, mich von einengenden Ängsten zu befreien.
Wie kannst du dich nun in deinem Leben mehr mit deiner Wut verbinden und sie als kraftvolle Ressource nutzen, anstatt sie wegzudrücken?
Wie kannst du mit deiner Wut in Kontakt kommen?
Einfach gesagt: Lerne, wahrzunehmen und dich nicht reflexartig zu übergehen, wenn dir etwas gegen den Strich geht.
Der erste Schritt hierfür ist, dich generell selbst mehr spüren zu lernen. Wie wichtig Körperbewusstsein als Basis für eine hohe Lebensqualität und Kontakt zu dir selbst ist, werde ich wohl niemals müde werden zu betonen.
Du kannst es dir hierfür zur Gewohnheit machen, tagsüber immer wieder auf deine körperlichen Empfindungen zu achten und bei dir einzuchecken, wie es dir geht. Wo spürst du Anspannung im Körper? Wo Wohlbefinden? Wie atmest du? Fühlst du dich gestresst oder ausgeglichen? Spürst du innere Erregung oder Unruhe? Kannst du den Kontakt deines Körpers zum Boden oder zur Unterlage wahrnehmen?
Trainiere diese Innenschau z.B. wenn du in der Straßenbahn sitzt (statt dein Smartphone rauszunehmen), während du Mittag isst oder dir die Zähne putzt. Je mehr du übst, desto leichter wird es dir fallen, dich selber wahrzunehmen.
Der zweite Schritt ist nun, zu registrieren, wenn sich etwas für dich nicht stimmig anfühlt und – ganz wichtig- ES NICHT WEGZUDRÜCKEN, sondern ernstzunehmen!
Ja, ich möchte dir an dieser Stelle sogar raten, ins Gegenteil des „Wegdrücken-Musters“ zu gehen und dein Unbehagen durch bewusst gesetzte „somatischen Marker“ noch deutlicher wahrzunehmen.
Das bedeutet konkret: Wenn die leise Stimme der Wut anklopft, du also das Gefühl des Widerstands verspürst: Verstärke es körperlich, indem du beispielsweise die Fäuste ballst und dir innerlich bestätigst: „Ich bin wütend!“ …… oder dir innerlich der Situation entsprechende Sätze wie „Ich fühle mich übergangen!“, „Das ist ungerecht!“ etc. sagst und so in Kontakt mit deiner Wut kommst.
Wenn ein anderer körperlicher Ausdruck von Wut wie Zähne fletschen, Aufstampfen oder in die Tischkante Greifen hilfreich für dich und in der Situation passend ist, kannst du auch diesen wählen. Kurz die Fäuste zu ballen ist halt meist ziemlich unauffällig.
Das bewusste körperliche Verstärken des Empfindens, dass etwas nicht in Ordnung für dich ist, setzt eine neue Erfahrung und somit einen Lernprozess in den Gang, der das festgefahrene Muster, deine Wut automatisch wegzudrücken (und beispielsweise ins „people pleasing“ zu gehen) in Bewegung bringt und den Raum für alternative Verhaltensweisen öffnet. Diese können beispielsweise sein, dass du jemanden verbal in seine Schranken weist und deine Grenze kommunizierst, dein Empfinden aussprichst, klar und selbstbewusst deine Meinung sagst oder die Situation verlässt, statt freundlich lächelnd wie erstarrt auszuharren.
Wichtige Ergänzung: Du kannst die oben beschriebenen instinktiven körperlichen Ausdrucksformen von Wut auch in einem sicheren Rahmen Zuhause, frei von jeder Alltagssituation, üben und dich so mit ihnen vertraut machen: Du kannst aufstampfen und „nein“ rufen, deine Hände zu Krallen ausfahren und fauchen, fest in die Tischkante greifen oder deine Hände zu Fäusten ballen. Hierbei kannst du die Kraft, die hierdurch freigesetzt wird, wahrnehmen und halten üben. Verweile auch ruhig länger in einer Bewegung und erlebe sie von innen heraus. Spüre dein inneres Feuer: Wie fühlt es sich an, bewusst aus dem „brave Mädchen Modus“ herauszugehen?
Schreib mir gerne, wenn du damit experimentierst, wie es dir damit ergangen ist.
Wenn du dir Begleitung dabei wünschst, im Alltag kraftvoll für dich einzustehen, möchte ich erwähnen, dass ich genau hierfür das Online 1:1 Programms „Zurück zu mir“ entwickelt habe. In dem Programm nehm ich dich an die Hand und kreiere eigens auf dein Leben zugeschnittene Körperreisen, mit denen du gezielt neue Reaktionen auf wiederkehrende alltägliche Situationen trainieren und so dein Handlungsspektrum erweitern kannst. Schreib mir gerne ganz unverbindlich, wenn das spannend für dich klingt und wir können ein Kennlerngespräch vereinbaren.
Trainingsräume zum Umgang mit Wut bietet auch das 2. Modul des Jahrestrainings „Entdecke deine Kraft“, was zum nächsten Mal am 13./14.1. 2024 in Leipzig stattfindet und wozu ich dich an dieser Stelle herzlich einladen möchte. Es ist ein Wochenendseminar, dessen genaue Beschreibung du auch auf meinem Instagram-account: @gluecklich_im_koerper findest oder indem du mir schreibst 🙂
Manchmal biete ich auch kürzere Workshops zum Thema Wut an, zum Beispiel Ende Januar und Mitte Februar bei Muschebubu in Leipzig.
Am einfachsten bleibst du allgemein auf dem neusten Stand, wenn du dich unten in meinen Newsletter, die Empowerment-Post einträgst.
Ein Plädoyer für Wut
Wenn du raus aus der Erschöpfung und dem „Brav-sein-Muster“ möchtest, kommst du an dem Thema „Wut“ nicht vorbei. Vielleicht ist dir das Thema aus den oben benannten Gründen zunächst etwas suspekt, unangenehm oder angsteinflößend. Doch es lohnt sich wirklich, hier offen und neugierig zu sein!
Wenn du lernst, der leisen oder lauten Stimme deiner Wut zu lauschen und sie auf gesunde Weise für dich und dein Leben zu nutzen, wird dir sie ein unglaubliches Gefühl der Selbstbestimmung, Selbstwirksamkeit, Kraft und inneren Freiheit ermöglichen. Du wirst selbstverständlich Grenzen setzen können und automatisch kraftvoll für dich einstehen.